Nicht Magenta. Rosa.

Die Bedeutung des Unsichtbaren – Interview mit TOPOTEK 1

100 green SPACES

DIE BEDEUTUNG DES UNSICHTBAREN

Medium
100 green SPACES
Aufgabe
Chefredaktion / Interview
Fotos
Hanns Joosten

 

Grafik
Andreas Rubatscher

rosebud

Martin Rein-Cano gründete 1996 sein Landschaftsarchitekturbüro TOPOTEK 1 in Berlin. Heute – nicht einmal 30 Jahre später – zählt es zu den international bekanntesten. Gemeinsam mit seinen Partnern und Mitarbeitern realisiert er nicht nur interdisziplinäre Projekte an der Schnittstelle von Landschaft und Kunst, sondern erweiterte TOPOTEK 1 2017 auch um ein Architekturbüro. Gründer und Partner Martin Rein-Cano im Gespräch mit Chefredakteurin Rosa Schaberl über das kürzlich realisierte Projekt Kloster Lorsch, über den Mehrwert des Nichts und was die Emanzipierung der Frau mit dem Schritt in die Architektur zu tun hat.

TOPOTEK 1 hat 2010 den Wettbewerb für das Kloster Lorsch gewonnen. Mit welchem Konzept konntet ihr die Jury überzeugen? Welcher Grundgedanke steht hinter eurem Entwurf?

Unseren Entwurf könnte man als die „Poesie des Verschwundenen“ begreifen. Das Kloster hat zwar eine enorme geschichtliche Bedeutung, aber für Elemente, die heute nicht mehr ersichtlich sind. Ein Beispiel wäre die Schreibstube: Hier wurden noch vor dem Buchdruck Unmengen an Transkripten produziert, viele der Arbeiten aus dem Kloster Lorsch findet man heute in der Bibliothek des Vatikans. Besuchen kann man diese Schreibstube aber nicht mehr – sie ist verschwunden. Wir haben versucht, diese unsichtbare Bedeutung erlebbar zu machen.

 

Wie kann man sich das vorstellen? Wie macht man Unsichtbares als landschaftsarchitektonischen Eingriff sichtbar?

Auch wenn man die meisten Gebäude und Funktionen heute nicht mehr sieht, haben sie Spuren hinterlassen, die wir durch topografische Elemente nachzeichnen. Eigentlich ist das ebenso eine Transkription der Geschichte, wie sie früher in der Schreibstube stattgefunden hat. Man kann den Ort aus zwei Sichtweisen erleben: Wenn man als Besucher kein Hintergrundwissen zum Kloster Lorsch hat, erlebt man die schöne Landschaftskultur. Hat man das Wissen um die ehemalige Bedeutung, lässt sich durch die topografischen Eingriffe erahnen, was es damals gegeben hat, und die ehemalige räumliche Situation wird erfahrbar.

 

Und abseits der Topografie, welche Elemente des Entwurfes sind noch herauszuheben?

Durch die bereits erklärten Eingriffe ist die informelle Strukturierung relativ stark und macht dennoch keinerlei Vorgaben der Nutzung oder des Bewegungsflusses. Wir haben auch im Park selbst auf eine Wegeführung verzichtet. Es gibt nur in der Eingangssituation diese … nennen wir es „Trittstreifen“. Wir wollten den Nutzern einfach die Freiheit geben, den Raum selbst zu erleben und sich anzueignen. Das Nichts hat in unserem Entwurf also eigentlich zwei Ausprägungen: das Nicht-Sehen und das Nicht-vorgeschrieben-Bekommen. Das Nichts ist also das Wertvolle im Entwurf.

Die Aneignung des Freiraumes ist ja nicht nur beim Kloster Lorsch ein Thema. Wie kann man denn die Aneignung durch Nutzer ganz allgemein in der Gestaltung unterstützen? Und welches konzeptuelle Verständnis vertritt TOPOTEK 1?

Es gibt diesen Essay von Umberto Eco „Das offene Kunstwerk“, darin beschreibt er, dass ein Kunstwerk immer nur dann eine Qualität besitzt, wenn der Betrachter es zu Ende denken oder zu Ende erleben kann. Wenn Kunst abgeschlossen ist, ist sie eigentlich wertlos. Wenn es um die Aneignung des Freiraumes geht, sehe ich persönlich das gern wie Eco. Wir streuen gestalterische Krümel, an denen sich die Besucher orientieren können, aber nicht müssen. Sie können den Freiraum selbst „zu Ende“ erleben. Ich glaube, je neutraler man mit Funktionszuweisungen umgeht, desto angeregter ist der Besucher, selbst etwas daraus zu machen.

 

Schon vor dem Wettbewerb war das Kloster Teil des UNESCO Weltkulturerbes. Welche Herausforderungen gehen mit diesem Titel bei einem landschaftsarchitektonischen Eingriff einher?

Ich sehe eher einen größeren Vorteil als wirklich eine Herausforderung in diesem Titel. Vielleicht, dass dir als Gestalter bei allen Eingriffen unglaublich genau auf die Finger gesehen wird. Das ist aber nur allzu verständlich und es hat uns nicht wirklich betroffen. Es gab ja auch nichts, was wir hätten kaputt machen können. Dazu kommt, dass unsere Eingriffe wirklich sanft waren. Unsere Gestaltung ist vielmehr ein Hauch. Als würde man nach dem Duschen mit dem Finger auf dem Spiegel zeichnen. Zum Beispiel sind die topografischen Elemente, auch wenn es so scheint, nicht durch Abgrabung des Bodens entstanden. In Wahrheit sind es Aufschüttungen, um das Bodendenkmal nicht anzutasten

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